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Arbeitslabor

Was ist Resonanz?

Aktualisiert: 1. Okt. 2020

Gute Arbeit kommt in der digitalisierten Industriemoderne nicht von selbst – aber Nachdenken hilft…

Das Bild ist deprimierend: Laut „Gallup-Engagementindex“ engagiert sich nur ein geringer Anteil von ca. 15% der Angestellten in deutschen Unternehmen gerne für Erfolg und Wohlergehen der eigenen Organisation. Etwa genauso viele Mitarbeiter aber haben bereits innerlich gekündigt. Der große Rest von ca. 70% macht schlicht Dienst nach Vorschrift. Sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in deutschen Unternehmen also überwiegend demotiviert und unproduktiv?


Bei diesem niederschmetternden Befund wird schnell mit dem Finger nicht nur auf angeblich faule Mitarbeiter, sondern auch auf überforderte Führungskräfte gezeigt. Oder gleich „die Globalisierung“, „der Kapitalismus“, „die Digitalisierung“ verantwortlich gemacht. Das alles ist nicht gänzlich falsch – aber wie so oft ist die Wirklichkeit etwas komplexer als vorschnelle Ursachenfindung und pauschale Verurteilungen suggerieren mögen.

It’s modernity, stupid!

Denn die Ursachen liegen in unserer Art zu leben und zu arbeiten. Man muss also auf unser Leben in der Moderne zu sprechen kommen, die uns als zivilisatorisches Modell schon seit gut hundert Jahren prägt. Im 21. Jahrhundert nun, in der Post- oder Spätmoderne, entsteht ein merkwürdiges Paradoxon: Viele von uns müssen kaum noch einen Finger rühren und verdienen mit Arbeit, die unsere Großeltern meist als leicht bewertet hätten, Zehntausende oder sogar Hunderttausende Euro im Jahr. War früher Feldarbeit von früh bis spät angesagt, planen wir heute in der Mittagspause Wochenendausflüge, Shoppingtrips und Sabbaticals als Ausdruck unserer selbstbestimmten Lebensgestaltung. Gleichzeitig aber scheint die Unzufriedenheit mit der Arbeits- und Lebenssituation bei vielen immer mehr zu wachsen.

Es lohnt sich darum, dieses Problem jenseits von Teeküchengesprächen zwischen gestressten Kollegen etwas ernsthafter zu betrachten. Jedenfalls dann, wenn wir nachhaltig interessiert daran sind, wie Arbeit wirklich weniger Stress und mehr Freude machen kann und wie wir wirklich produktiv und erfolgreich zusammenarbeiten können.

Resonanz statt Stress

Einer der spannendsten und ertragreichsten wissenschaftlichen Beiträge der letzten Jahre, die diesen Zusammenhang beleuchten, ist zweifellos das Buch Resonanz von Hartmut Rosa. Der Soziologe und Philosoph aus Jena macht sich darin Gedanken über die Veränderungen unserer modernen Lebenswelt und ihren Einfluss auf unser Verhalten und Empfinden. Und er konstatiert: Die Epoche der industrialisierten Moderne mit ihrem enormen Wohlstandswachstum, grenzenloser Technisierung und Beschleunigung scheint nach Jahrhunderten des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts in einen rasenden Leerlauf geraten.

Die Moderne, schreibt Rosa, die Außerordentliches geleistet hat, wenn es darum ging, materielle Not zu beseitigen, erzeugt heute seelisches Leid in nicht geringem Umfang. Denn als Kinder unserer Zeit kennen wir kaum noch ein anderes Lebensprinzip als das der „Reichweitensteigerung“. Immer weiter, immer schneller, immer mehr wollen wir haben, und verbinden damit Erfolg und Glück. Und so bauen wir uns Biographien, Organisationen und ganze Gesellschaftssysteme, die vor allem darauf abzielen, uns immer mehr von allem zu bieten. Die Ausbildung soll unser Wissen erweitern, das Praktikum die sozialen Kontakte, der erste Job im Unternehmen die Karriereoptionen einer ganzen Branche erschließen. Das Unternehmen wiederum stellt uns an, um mit unserer Hilfe seinen Gewinn zu vermehren, die Marktposition zu verbessern, neue Kundensegmente zu erschließen, Wachstum zu generieren.

So haben wir es schließlich gelernt: Nur immer mehr ist wirklich genug. Was aber, wenn wir eigentlich längst genug haben, von allem, was sich zählen, sammeln und besitzen lässt? Und wenn es uns stattdessen an etwas mangelt, ohne das wir doch nicht leben können: Resonanz?!

Was auf den ersten Blick esoterisch klingt, das erweist sich als wissenschaftlich präzise und auf die Probleme unserer Gegenwart brillant zugespitzte Analyse einer uralten Problematik: Menschen werden vom Geld allein nicht glücklich. Auch das Sammeln von Statussymbolen, sozialen Kontakten oder intensiven Erlebnissen wird irgendwann unbefriedigend, wenn es nur um seiner selbst willen geschieht. Was wir stattdessen dringend benötigen und oftmals bitterlich vermissen, so Rosa: Dinge, die man nicht zählen und auch zumeist für Geld nicht kaufen kann. Eine lebendige Beziehung zur Welt, zu anderen Menschen und nicht zuletzt zu unserer Arbeit. Resonanz, so beschreibt es der Soziologe, ist eine Art Dialog mit den uns umgebenden Menschen oder Dingen, in dem wir uns selbst erkennen und wiederfinden können.

Resonant kann zum Beispiel die handwerkliche Tätigkeit sein, die bei jedem Arbeitsschritt spürbar macht, dass da ein Werk entsteht, mit dem ich Spuren in der Welt hinterlasse. Resonant kann aber auch der Austausch mit der Vorgesetzten sein, der den Eindruck erzeugt, gehört und verstanden zu werden.

Und das Gegenteil von Resonanz? Es sind solche Situationen, über die wir rückblickend sagen könnten: Da kam einfach nichts zurück! Die Enttäuschung, wenn eine wochenlang vorbereitete Präsentation niemanden interessiert, oder der Frust, wenn engagiert vorgetragenen Vorschläge zur Verbesserung von Arbeitsabläufen sang- und klanglos verhallen. Oder auch das Erleben, wenn mir meine Arbeit plötzlich sinn- und belanglos vorkommt, der Alltag grau und trist geworden ist. Wo Resonanz fehlt, misslingt Kommunikation, staut sich Frust an, fehlt die Freude an der Arbeit, gehen Sinn und Hoffnung verloren.

Braucht gute Arbeit Resonanz?

Aber hilft im Kampf gegen diese ja vielfach schon bekannten Probleme und Widrigkeiten der Arbeitswelt ein neuer Begriff? Und wenn ja wie? Das spannende am Konzept der Resonanz ist seine Mächtigkeit: Es geht hier um eine soziologische, psychologische, ja ethische Tiefenanalyse des Menschen und der Zusammenhänge in denen wir denken und empfinden, leben und arbeiten. Bei tiefer gehender Auseinandersetzung eröffnet sie Perspektiven für eine befriedigende, sinnvolle, produktive und gesunde Gestaltung von Leben und Arbeit, die weitaus nachhaltiger ausfallen wird, als Investitionen in Rückenschulungen und ein neues Bällebad für die Belegschaft.

Hier gilt – wie so oft – der Grundsatz: Denken hilft. Denn wenn es uns gelingt einzelne Problemfelder der Arbeitswelt wie Stress, Demotivation, Burnout, mangelnde Wertschätzung und dysfunktionale Kommunikation auf der Basis der Resonanztheorie als Symptome einer zivilisatorischen Grundproblematik zu begreifen, wachsen unsere Chancen, eine nachhaltige Lösung zu finden.

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